Im Schneesturm gefangen

 
 

In der Nacht kommt ein starker Wind auf, der zum Morgen hin immer stärker wird und sich schließlich zu einem ausgewachsenen Sandsturm entwickelt. Unser Zelt wird hin und her geworfen und wir können froh sein, dass wir uns innerhalb der Mauern des Campingplatzes befinden und nicht in der offenen Wüste. So kriechen wir beim Morgengrauen aus dem Zelt und sichern es mit den schweren Koffern und an einer Laterne. Der Wind hat über Nacht ein Sammelsurium von Müll in unserem Vorzelt zusammengetragen. Wir können nur mit den Halstüchern vor dem Mund atmen, so voller Staub ist die Luft. Also packen wir unsere Ausrüstung zum Frühstücken und gehen in den windgeschützten Waschraum des Platzes, wo wir bei den Düften der Toiletten Kaffee kochen. Danach steht die Reparatur meiner Kiste an, und das bei dem Sturm. Mit Hilfe unserer Packgurte mit Ratschen hängen wir meine Mühle an einen Baum und können so wunderbar das Hinterrad ausbauen. Das Lösen der Kettenradschrauben erweist sich jedoch als großes Problem. Mit Hilfe eines netten Franzosen, unseres Klappspatens, Stemmeisen und Unmengen von Kraft gelingt es uns schließlich die Schrauben zu lösen und ein neues Kettenrad zu montieren. Da soll noch mal einer sagen ich hätte unnütze Ersatzteile dabei. Die Kette, die noch sehr gut aussah lassen wir vorerst mal drauf.

Nach dem obligatorischen kleinen Einkauf in der Stadt geht es unserem nächsten Ziel entgegen. Wie uns deutsche Motorradfahrer, welche wir in Spanien trafen, berichteten, soll die Strecke nach Telouét eine besondere Herausforderung sein. Diese Piste wollen wir heute bewältigen. Sobald wir Quarzazarte verlassen beutelt uns der zum Glück jetzt um einiges schwächere Wind gewaltig durch. Ich bekomme immer wieder Lachanfälle wenn ich Matthias vor mir auf der Straße in einer Schräglage fahren sehe, die man sonst nur in steilen Kurven hat. Bei Gegenverkehr wird es immer besonders brenzlig, da der Wind ständig die Richtung ändert und uns auch mal auf die Gegenfahrbahn treibt. So taumeln wir dahin, bis wir nach einer Stunde den Anfang der Piste erreichen. Schon nach kurzer Zeit schützen uns die Hügel links und rechts der Straße größtenteils vor dem Wind und es lässt sich wieder besser fahren. In Ait-Benhaddou beginnt die eigentliche Piste und vor uns ist unsere erste große Wasserdurchfahrt. Der kleine Fluss ist hier ziemlich reißend und wir schauen erstmal zu wie ein Pkw die Fuhrt durchfährt. Matthias versucht sein Glück als erster und schafft es mit kleineren Schwierigkeiten gut durch das Wasser. Also stürze auch ich mich in die Fluten und das leider im wahrsten Sinne des Wortes. Der Grund besteht aus großen glitschigen Kieselsteinen, die mir zum Verhängnis werden. Mitten im Fluss stoße ich mit dem Vorderrad auf einen großen Stein und verliere das Gleichgewicht. Meinen Koffern sei Dank falle ich nicht komplett um sondern mein Motorrad liegt nur schräg. So ist es mit Matthias Hilfe schnell wieder aufgerichtet und ich schaffe die Durchfahrt dann doch noch. Da stehen wir nun am anderen Ufer, mit nassen Füßen. Doch das hält uns nicht auf und weiter geht die Fahrt. Die Piste wird zunehmen schlechter und die Landschaft zerklüfteter. Nach ca. 1 Stunde Fahrt erreichen wir die nächste Fuhrt. Hier führt der Weg wieder in den Fluss und folgt ihm ein Stück bevor er wieder an Land geht. Die Strömung ist auch hier reißend und das Wasser sehr tief. Also erst mal eine Pause und überlegen, bzw. auskundschaften, ob es nicht noch einen anderen Weg gibt. Fehlanzeige. Nach einem kritischen Blick auf die kleinen Wolken über dem Hohen Atlas vor uns und der Stärkung mit einem „Snikkers" sehen wir mit an, wie ein alter Mann auf einem Esel zielgerichtet und furchtlos in den Fluss reitet und an der nächsten Biegung unseren Blicken entschwindet. Kurze Zeit später taucht er auf der gegenüberliegenden Seite, Serpentinen hochreitend wieder auf. Jetzt gibt es für uns natürlich auch kein Zurück mehr. Da unsere Füße sowieso schon nass sind beschließen wir dass immer nur einer durchfährt und der andere mitläuft um im Notfall das Motorrad zu halten. Matthias ist wieder der erste, und er kommt auch wunderbar durch, auch ohne meine Hilfe. Mir ist das Glück auch hold und so komme auch ich unversehrt, und von den nassen Füssen mal abgesehen, auch trocken am anderen Ufer an. Die darauf folgenden Furten durchlaufen wir lediglich noch um die Wassertiefe und den Untergrund zu testen, können jedoch alleine durchfahren. So erreichen wir schließlich den Ausgang des Tales. Ein kleiner Weg führt steil nach oben, links der schroffe Fels und rechts der Abgrund. Mit Schrecken stellen wir fest das der Himmel sich immer weiter zuzieht und als wir schließlich das Hochplateau erreichen setzt ein wildes Schneetreiben ein. Matthias dessen Motorradkleidung nicht wasserdicht ist, wird ganz schnell durchnässt und auch bei mir hält die Jacke den Schneeregen nicht lange stand. Die Temperatur ist auch extrem gefallen und wir schätzen sie höchstens auf 5 Grad. Durchnässt vom Schneeregen und den Flussdurchquerungen fühlen sich unsere Füße bald wie Eisklumpen an. Wir können nur noch Schritttempo fahren, da die Visiere beschlagen und ständig vom Schnee zugesetzt werden. Leider weicht die lehmige Straße durch das Wetter nun immer mehr auf und es wird mehr und mehr zu einer Rutschpartie. Plötzlich kommt uns ein alter Peugot entgegen, der allen Ernstes die enge steile Straße hinunter will und das bei dem Matsch. Mutig sind diese Marokkaner auf alle Fälle. Nach einigen Kilometern auf der schlammigen Straße finden wir glücklicherweise einen verlassenen Eselstall in dem wir uns unterstellen und die Klamotten wechseln. Nach einem heißen Tee geht es uns dann wieder etwas besser und nachdem das Schneetreiben aufgehört hat fahren wir weiter. Doch leider hat sich der Straßenzustand nicht gebessert und wir schlingern manchmal gefährlich dem Abgrund entgegen. So quälen wir uns Meter für Meter weiter bis ich in einer kleinen Ortschaft nicht mehr weiterkomme. Mein Vorderrad dreht sich vor lauter Dreck nicht mehr und ich bin völlig erschöpft. Zu aller Unglück kippe ich dann auch noch mit meiner Maschine um und es gelingt mir nicht sie alleine wieder aufzurichten, da ich auf dem schmierigen Boden keinen richtigen Halt finde. Bevor jedoch Matthias mir zur Hilfe eilen kann sind schon zwei Marokkaner in ihren dünnen Schuhen neben mir und helfen ganz selbstverständlich. Ich bin beeindruckt von soviel Hilfsbereitschaft, die die zwei mit völlig verdreckten Schuhen bezahlen. Ein Ziegenhirt erklärt Matthias mittlerweile dass es bis Telouét noch ca. 10 km seien. Das gibt uns den Rest, wir wollen kein Stück mehr weiter. Hinter uns steht vor einem Haus ein Mann der uns ständig winkt. Mit Mühe wenden wir die verdreckten Maschinen und fahren hin. Der Mann sagt uns in sehr gutem deutsch, dass wir die Nacht bei ihm verbringen können. Erst sind wir etwas verlegen und wollen nicht so richtig, doch er überzeugt uns doch noch. Er führt uns zu einem Gebäude, das sich als kleine Schule herausstellt und verlangt von uns allen Ernstes unsere dreckigen Motorräder in den einzigen Klassenraum zu stellen. Heftig versuchen wir ihn davon abzubringen und erklären dass wir damit nur eine Menge Dreck in den sauberen Raum bringen würden. Er lässt jedoch nicht locker und so lassen wir die Maschinen und den Hauptteil der Ausrüstung schließlich dort. Etwas beschämt müssen wir zusehen wie ein Jeep mit einem Touristenehepaar, vom Wetter und dem Straßenzustand völlig unbeeindruckt, durch die Ortschaft fährt. Und wir mit den Motorrädern hängen hier fest. Aber irgendwie helfen die Vorfreude auf trockene Klamotten und einen warmen Raum unseren gekränkten Stolz zu beruhigen. Was soll’s, wir folgen dem Mann dann in sein bescheidenes Haus wo wir auch von seiner Frau herzlich begrüßt werden. Hier können wir uns endlich der dreckigen Klamotten entledigen und in saubere trockene Sachen schlüpfen. Wir werden ins Wohnzimmer geführt und seine Frau serviert uns heißen Pfefferminztee und kleine Plätzchen. Das tut nach solch einem Tag wirklich gut. Unser Retter nennt uns dann auch seinen Namen – Benslimane. Er spricht wirklich gut deutsch und wir unterhalten uns sehr nett. Außen um das Haus pfeift der Wind und wir wärmen uns an einem kleinen Holzkohlebecken die Hände – ein wirkliches Abenteuer. Wie wir von Benslimane erfahren ist er der Lehrer und Direktor der hiesigen kleinen Dorfschule und hat während seines Studiums auch deutsch belegt, was ihm die guten Sprachkenntnisse eingebracht hat. So stellen wir uns gegenseitig Fragen über die Länder aus denen wir stammen. Auch fragt er uns einmal ganz vorsichtig ob es den richtig sei, das wir Schweinefleisch essen, wo es im Koran doch verboten sei. Etwas verlegen beantworten wir die Frage mit Ja. Tja, es sind halt völlig verschiedene Kulturen aus denen wir stammen. Dass wird auch daran deutlich, dass, während wir Männer am Wohnzimmertisch sitzen, seine Frau und die kleine Tochter sich in der Ecke auf einem Teppich kauern, trotzdem aber unsere Unterhaltung interessiert verfolgen. Später erfahren wir von Benslimane, dass wir nicht die ersten sind die er aufnimmt. Erst letztes Jahr übernachteten zwei deutsche Motorradfahrer wegen schlechten Wetters bei ihm. Und vor ein paar Jahren hatte er einer spanischen Reisegruppe geholfen, die einen Jeep in den Abgrund versenkten. So stellt sich unser Retter als Schutzengel der Reisenden heraus. Etwas später geht er dann in die kleine Diele und schneidet aus einem an der Wand hängenden frisch geschlachteten Lamm einige Stücke Fleisch heraus und gibt sie seiner Frau in der Küche. Nachdem er frische Holzkohle nachgeschüttet hat, kommt seine Frau mit einem Teller voller Fleischspieße und frischen Fladenbrot zu uns ins Wohnzimmer. Wir trauen unseren Augen nicht, aber jetzt fängt unser Retter im Wohnzimmer das Grillen an und Minuten später können wir vor lauter Rauch die Augen kaum noch offen halten. Doch schon kurz darauf entschädigt uns das köstliche Mahl für den ganzen Qualm. Das Fleisch schmeckt hervorragend und das Fladenbrot ist eine Köstlichkeit. Wir sind eigentlich schon pappsatt, als seine Frau noch einen Teller mit dem gekochten Lammkopf bringt. Wie uns Benslimane erklärt eine Delikatesse. Wir lehnen jedoch dankend ab, mit der Ausrede dass wir schon völlig satt wären und in der Hoffnung ihn nicht zu beleidigen.

Nach einem noch langen und interessanten Gespräch bringt man uns schließlich ein paar dicke Wolldecken und wir legen uns auf die Sitzpolster zum Schlafen. Der mittlerweile zum Sturm gewordene Wind rüttelt an dem kleinen Häuschen und wir sind heilfroh nicht im Freien schlafen zu müssen.

Am nächsten Morgen werden wir mit heißem Pfefferminztee und Plätzchen geweckt. Nachdem wir uns gestärkt haben möchte Benslimane unbedingt, dass wir noch einen Tag bleiben. Wir lehnen jedoch ab, denn das Wetter hat sich gebessert und die Sonne scheint wieder. Der Wind hat die Straße wieder einigermaßen getrocknet und wir wollen schnell wieder ins Tal. Also bedanken wir uns mit ein paar kleinen Geschenken für die Gastfreundschaft, tauschen Adressen aus, machen ein paar schöne Fotos und gehen zu den Motorrädern. (Wochen später hatten wir ihm dann von zuhause ein paar Kleinigkeiten, die er im Gespräch erwähnt hatte geschickt, was er mit einem wirklich rührenden Brief beantwortet hat; ein wirklich wunderschönes Erlebnis). Positiv überrascht stellen wir fest, dass unsere dreckigen Gefährte nicht sehr viel Schmutz um Schulraum zurücklassen. Für die Kinder des Dorfes sind wir natürlich die absolute Attraktion und so werden wir beim Beladen mit großen Augen bestaunt. Wir verabschieden uns und fahren weiter. Die Straße ist über Nacht etwas abgetrocknet und wirklich viel besser und bis auf vereinzelte Matschlöcher kommen wir gut voran. So erreichen wir nach 2 Stunden endlich die Teerstraße. Hier stellt sich heraus, dass unsere Entscheidung nicht weiterzufahren, uns vor viel schlimmeren Schwierigkeiten bewahrt hat. Über Nacht hatte es stellenweise fast einen Meter geschneit und in dieses Chaos wären wir Reingefahren. Jetzt jedoch, am späten Vormittag war ein Großteil wieder geschmolzen und behinderte uns nicht weiter. Kurz vor Telouét schließlich, laut Reiseführer bekannt für seine besonders aufdringlichen Kinder,  kommt es zur nächsten Panne. Diesmal hat es Matthias erwischt. Ein Dorn hat seinen Vorderreifen durchbohrt. Also, Motorrad aufbocken und Reifen flicken – kennen wir ja schon. Auch das läuft trotz leichten Schneetreibens ganz gut und nach einer guten Stunde sind wir wieder unterwegs, erfreulicherweise unbelästigt von irgendwelchen Kids. Es geht noch mal ein Stück hoch zu einem Pass welcher inmitten einer wunderschönen schneebedeckten Landschaft liegt. Die Straßen sind jedoch frei. Lediglich die Kälte ist etwas unangenehm. Ein einem uns entgegenkommenden Geländewagen Konvoi geben wir auf deren Frage über den Zustand der Piste Auskunft. Sie wollen es auf jeden Fall versuchen – viel Glück. So gelangen wir schließlich am frühen Nachmittag wieder hinunter in die Wüstenebene um Quarzazarte. Hier fahren wir ohne Stopp die Straße der Kasbahs weiter Richtung Boulmalne du Dades, der Stadt am Eingang der Dadesschlucht. Die gut ausgebaute Straße führt am Hohen Atlas entlang, mit immer wieder malerischer Aussicht auf die schneebedeckten Gipfel. Nach einem kurzen Abstecher zu einem riesigen Stausee erreichen wir Boulmalne schließlich in den frühen Abendstunden.

 
  Nächstes Kapitel: Dades- und Todra-Schlucht - ein Erlebnis für sich